Comenius-Projekt im Zeichen von Ostern: Hoffnung auf den Abschied vom Abschied



Kalte Dusche, kreischende Mädchen - ein Osterbrauch von vielen, die beim Abschluss des Comenius-Projekts in Györ präsentiert wurden. Foto Roland Lörzer

Weiterstadt/Györ (Lör)    Kreischende Mädchen in Tracht, schmunzelnde Jungs mit gefüllten Wassereimern – dieser ungarische Osterbrauch ist wahrlich nichts für „Weicheier“! Besonders bei diesem Wetter! Das Verrückteste an der Geschichte ist aber, dass Mädchen, die keine kalte Dusche erhalten, beleidigt von dannen ziehen. Denn das kühle Nass soll die Schönheit fördern. Deshalb schenkt die begossene Weiblichkeit den Jungs auch noch bunt bemalte Ostereier. Traditionen wie diese standen im Mittelpunkt des abschließenden Comenius-Treffens in Györ, der zweitgrößten Stadt Ungarns.

Koordinatorin Petra Stiller von der Hessenwaldschule, Organisatorin Monika Kokas und ihre Kolleginnen aus der Slowakei, Litauen und Griechenland brachten ein vorerst letztes Mal Schüler und Lehrer aus den europäischen Partnerländern zusammen, um die persönlichen Verbindungen zu vertiefen, das gegenseitige Verständnis zu fördern und sich mit der ungarischen Kultur auseinanderzusetzen. Abschiedstränen inclusive.
Das Land an der Donau im Herzen Europas hat viel erlebt. Gegründet von König Stephan im Jahr 1000, überrannt von den Mongolen, besetzt von den Osmanen, angeschlossen an das Reich der österreichischen Habsburger bis 1918, danach kurzzeitig in eine kommunistische Räterepublik verwandelt, beschloss die Regierung 1920 die Rückkehr zur Monarchie. Das wurde dem Land von den Siegermächten des Ersten Weltkriegs aber verboten. Ab 1933 näherte sich Ungarn aufgrund wirtschaftlicher Krisen dem nationalsozialistischen Deutschland an, um nach dem Zweiten Weltkrieg dem Ostblock unter Führung der Sowjetunion zugeschlagen zu werden, obwohl die Magyaren eher westlich orientiert waren.
Das zeigte sich besonders im Herbst 1956, als es zum Volksaufstand kam und die Massen dafür sorgten, dass Imre Nagy Ministerpräsident wurde. Bekanntlich schlug die Rote Armee den Aufstand erbarmungslos nieder, konnte aber nicht verhindern, dass sich in Ungarn der sogenannte „Gulasch-Kommunismus“ entfaltete, eine abgemilderte Form des Staats-Sozialismus, die ab Ende der 60er Jahre auch privatwirtschaftliche Initiative erlaubte.
Weltgeschichte schrieb Ungarn, als das Land 1989 die Grenze nach Österreich öffnete. Der Eiserne Vorhang war löchrig geworden und viele DDR-Bürger nutzten die Chance, um über Österreich in die Bundesrepublik zu flüchten. Auf diese Weise hat Ungarn die deutsche Einheit befördert und die russische Vorherrschaft in Osteuropa beendet.
Die große Tradition des Landes ist besonders in Budapest zu bestaunen. Die Comenius-Delegationen besuchten das prunkvolle Parlament, bei dessen Bau zwischen 1885 und 1904 nicht mit Blattgold und Marmor gespart wurde. Die Fischerbastei, die Burg, die Szechenyi-Kettenbrücke, der Heldenplatz, die St. Stephans-Basilika, die Andrassy-Straße und am Ende auch die Zitadelle sorgten für bewundernde Blicke und großartige Ausblicke auf die schöne Stadt an der Donau, die bis heute den Charme der monarchischen Zeit versprüht.
Davon hat auch Györ, einst Raab genannt, viel zu bieten. Als Arrabona von den Römern gegründet, verwandelte der heilig gesprochene König Stephan die Stadt an der Raab und der Kleinen Donau in einen Bistumssitz und einer seiner Nachfolger wertete sie zu einer königlichen Freistadt auf. Als die Osmanen nach Westen drängten, versperrte ihnen die Festung Györ den Weg. Erst 1594 nahmen die Türken die Stadt ein. Nachdem sie der deutsche Feldherr Adolf von Schwarzenberg vier Jahre später wieder zurückerobert hatte, wurden in Mitteleuropa zahlreiche Dankkreuze aufgestellt.
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich Györ zum Zentrum des Getreidehandels. In dieser Zeit entstand das sehenswerte Rathaus, ein Neobarockbau mit einem 58 Meter hohen Turm.Das schönste Forum der Stadt ist der Széchenyi-Platz, den reich verzierte Barockhäuser einrahmen. Hier findet man Museen und die altehrwürdige Jesuitenkirche, das Ordenshaus der Benediktiner und ihr Gymnasium.
Berühmt ist Györ auch für sein Balett, das Heilbad, die Festivals und in wirtschaftlicher Hinsicht besonders für die Audi-Fabrik, in der über 6000 Mitarbeiter pro Jahr rund zwei Millionen Motoren produzieren, den TT sowie das A3-Cabrio montieren.
Viel tiefer gehen die Wurzeln der Erzabtei Pannonhalma, dem letzten Ziel der Reise. Immerhin handelt es sich um das erste Benediktinerkloster Ungarns, das heute auf eine 1000-jährige Geschichte zurückblickt. Es gilt als das Zentrum des Ordens im Land. Beeindruckend ist nicht nur die Aussicht über Pannonien. Die klassizistische Bibliothek verwöhnt die Augen mit stilvoller Schönheit. Die spätromanische Basilika aus dem 13. Jahrhundert lässt durch die kunstvollen, bunten Glasfenster nur wenig Licht ins Innere. Das schützt zwar die Deckenfresken, nimmt ihnen aber auch die Strahlkraft. Das Gymnasium im Kloster gehört zu den besten Schulen Ungarns.
Ob dort auch Ostereier ausgeblasen, gekocht und bemalt wurden wie in der Comenius-Schule von Töltestava? An dieser Partnerschule lernten die Hessenwaldschüler mit Schulsprecher Okan Erdogan und seiner Stellvertreterin Helene Hoffmann an der Spitze jedenfalls einige Techniken, wie man ovale Kleinodien erschafft. Da staunten auch die mitgereisten Lehrkräfte Eva Papadaki, Sofia Brüchhäuser, Renate Schneider und Roland Lörzer nicht schlecht. Die Pädagogen freuten sich zudem über eine besonders gelungene Präsentation ihrer Schüler, die deutsche Osterbräuche mit Hilfe von Power Point, Liedern, Bildern und einem Schattenspiel vorstellten.
Ostereier sind in allen Partnerländern bekannt. In der Slowakei verwöhnen zudem Lämmer aus Käse die Gaumen und wird im Frühjahr viel getanzt – wie beim ausgelassenen Comenius-Abschlussfest im Kulturhaus von Töltestava. Litauer lassen Ostereier rollen und versuchen jene ihrer Mitspieler zu treffen. Die Griechen führen Ostern auf seinen Ursprung zurück – die Auferstehung Christi. Ein gutes Zeichen für das Comenius-Projekt. Denn die Fortführung ist beantragt. Der Neustart des Projekts wäre gleichbedeutend mit dem Abschied vom Abschied.
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