In einem Viehwagen ins KZ Theresienstadt



Edith Erbrich am Holocaust-Gedenktag in der Hessenwaldschule.   Fotos Roland Lörzer

Weiterstadt (Lör)   "Ich wünsche mir Frieden auf der Welt, aber wahrscheinlich werde ich es nicht mehr erleben." Es klingt traurig, fast schon resigniert, was Edith Erbrich aus Langen in der vollbesetzten Mensa der Hessenwaldschule sagt. An diesem Abend des Holocaust-Gedenktags macht die 78-Jährige dennoch einen sehr ausgeglichenen und unbeschwerten Eindruck. Immer wieder hat sie ein Lächeln auf den Lippen. Sie zeichnet ein vielschichtiges Bild von der Verfolgung ihrer Familie in der dunkelsten Zeit der deutschen Geschichte. Neben unfassbaren Grausamkeiten tauchen immer wieder "stille Helfer" auf.  Seit 1999 ist sie als Zeitzeugin für den Holocaust unterwegs, "weil ich dafür kämpfe, dass dies nicht vergessen wird und so etwas nie mehr passiert". Man könnte ein Blatt fallen hören. Schüler, Eltern, Lehrer und Interessierte nehmen gespannt Anteil am Schicksal der aufrichtigen Frau mit den roten Haaren.


Die Kindheit von Edith Erbrich war alles andere als unbeschwert. Sie kam 1937 in Frankfurt am Main als Tochter eines jüdischen Vaters und einer katholischen Mutter zur Welt Schon als kleines Mädchen im Alter von zwei Jahren wurde ihr das „J“ wie ein Brandmal auf eine Kennkarte gedruckt. Bestimmte Bänke auf der Straße, die Straßenbahn, die Schule - all dies waren Verbotszonen für Juden und "halbjüdische" Kinder wie sie. Es war ihr auch untersagt, mit den Kindern in der Nachbarschaft zu spielen.
Dazu kamen "schreckliche Bombenangriffe" auf Frankfurt. Am 18. März 1944 wurde die Mainmetropole völlig zerstört. Die Ostendstraße, wo die Familie lebte, leuchtete wie ein Flammenmeer. Menschliche Fackeln rannten schreiend über die Straße. Kaum hatte sie sich mit ihrer Familie unter den Trümmern ihrer Wohnung wiedergefunden, wurde sie zusammen mit Vater und Schwester in Viehwagen zum KZ Theresienstadt verschleppt - ins „Wartezimmer des Todes“, wie dieses Lager genannt wurde.
Mit viel Glück überlebte sie den Nazi-Terror, konnte aber erst Jahrzehnte nach all dem Leid und nach allen Schicksalsschlägen darüber reden. Der Journalist Peter Holle schrieb ein Buch über das Leben von Edith Erbrich. „Ich hab das Lachen nicht verlernt“, heißt es.
Am Holocaust-Gedenktag erzählt Edith Erbrich in der Hessenwaldschule von dieser schweren und grausamen Zeit, über all die Erniedrigungen, die Ausgrenzung, aber auch von "stillen Helfern", die ihr Leben für das damals kleine Mädchen aufs Spiel setzten oder einfach dafür sorgten, dass die Postkarten, die Edith Erbrichs Vater auf dem Transport nach Theresienstadt geschrieben hatte, die Mutter in Frankfurt erreichten. Er hatte die Karten aus einem Schlitz des Viehwagens ins Freie geworfen. Menschen fanden sie und schickten sie Edith Erbrichs Mutter zu.
In den Eisenbahnwaggons waren Deutsche jüdischen Glaubens, Sinti und Roma, Sozialdemokraten und Kommunisten zusammengepfercht wie Tiere. Wenn jemand nicht mehr konnte, rückten die anderen noch enger zusammen und ermöglichten es ihm, sich mal auszustrecken. Die Menschen schliefen im Waggon, aßen, was sie dabei hatten, und mussten auch ihre Notdurft darin verrichten.
In Theresienstadt angekommen, wurden Edith Erbrich und ihre Schwester von ihrem Vater getrennt. Ihr Kopf wurde rasiert und das Mädchen wurde entkleidet. Eine schreckliche Erinnerung. Edith Erbrich wurde damals ohnmächtig. "Die Gesichter dieser fiesen und miesen Kerle werde ich nie vergessen, die sich bei der Ankunft auch noch lustig über uns gemacht haben", erzählt sie. Ihr Vater kam in das Lager nebenan. Auch wenn sie ihn zufällig sah, durfte sie ihm nicht zurufen oder winken. Nur einmal die Woche hatte ihr "Papa" Besuchsrecht. Weil sie so großes Heimweh nach Frankfurt hatte, konnte sie nichts essen und verlor immer mehr Gewicht.
Stundenlang mussten die Lagerinsassen in ihrer dünnen Kleidung im Freien stehen - bei jedem Wetter. Am härtesten war es in der Kälte. Wenn jemand vor Schwäche ohnmächtig wurde, durfte ihm niemand helfen. "Das war das Schlimmste", so Edith Erbrich.
Trotz dieser dramatischen und lebensgefährlichen Erfahrungen, war es für die Hessin nach der Befreiung durch die Rote Armee keine Frage: Sie wollte zurück nach Frankfurt. Bei der Rundschau arbeitete sie als Industriekauffrau. Da sie sich seit Jahren als Zeitzeugin engagiert, verlieh ihr Bundespräsident Horst Köhler das Bundesverdienstkreuz. "Das bedeutet mir viel", sagt sie. Und da ist es wieder - ihr Lächeln.
Eröffnet hatte die Veranstaltung stellvertretender Schulleiter Andreas Rech. Er freute sich, dass Edith Erbrich es den Hessenwaldschülern ermöglichte, Geschichte zu erleben. Wie die anderen Zuhörer war auch Fortbildungsbeauftragte Margarete Grothues beeindruckt von der Botschaft des Abends: Menschen helfen Menschen in Not. Das sei auch in der aktuellen Situation ein wichtiges Thema.


Der ehemalige stellvertretende Schulleiter Andreas Rech freute sich über das Kommen von Edith Erbrich. Sie ermögliche den Schülern "erlebte Geschichte", so Rech.


Diese beiden Schülerinnen sorgten für einen würdigen Rahmen der Veranstaltung.


Fortbildungsbeauftragte Margarete Grothues formulierte die Botschaft des Abends: Menschen helfen Menschen in Not.


Abschied von der Trägerin des Bundesverdienstkreuzes.






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